Alemanne warnt zunächst davor, die Komplexität des Themas zu unterschätzen, da Parteien extrem komplexe Organisationen sind. Viele Akteure mit unterschiedlichen Zielen die sich auf einer Plattform bewegen deren Grundlagen sich selbst permanent verändern. Die Politikwissenschaft könne hier viel von der Organisationsforschung lernen.
Bereits in seiner Einleitung weißt Alemanne auf den Widerspruch jeder innerorganisatorischer Demokratie hin: Entweder bezieht sich der Vorstand auf die Basis, findet damit jedoch gesellschaftlich keinen Wiederhall (kein Machtausbau der Organisation). Oder die Führung lässt sich auf Kooperationspartner ein, was jedoch zu Lasten der Mitgliederinteressen geht.
"Repräsentation Rekrutierung und Administration sind schwer zu optimierende Probleme; sie führen häufig zu Konflikten und zu einer organisatorischen Binnendifferenzierung, um die widersprüchlichen Anforderungen abzupuffern." (Alemann, S.127)Gesetzliche Grundlagen:
Die innerparteiliche Demokratie leitet sich aus Artikel 21 GG, sowie aus den Leitsätzen des Artikels 20 Abs. 1 GG ab. Erst 1967 schufen die Parteien auf Druck des Bundesverfassungsgerichtes das Parteiengesetz. Aus aus ihm heraus lassen sich Grundsätze für die innerparteiliche Demokratie ableiten:
Parteiintern:
- Vertikaler Aufbau: von unten nach oben, von der Basis zur Führung, alle Macht in der Theorie bei der Basis
- Funktionaler Aufbau: regelmäßige Wahl der Vorstände, Verantwortung der Vorstände gegenüber den Parteitagen, Abberufbarkeit, Gewaltenteilung (Partei-Schiedsgerichte unabhängig vom Vorstand)
- Regionaler Aufbau: genierliche Aufteilung mit gewissen Kompetenzübertragungen, gleichzeitig jedoch auch starkes Durchgrifsrecht der Spitze gegen "dissentierende Teilverbände"
- Grundrechte der Mitglieder: Gleichberechtigung und gleiches Stimmrecht, Freiheit der Meinungsäußerung, Schutz vor willkürlichem Ausschluss und Eintrittsverweigerung
Extern:
- Transparenz der Partei gegenüber Öffentlichkeit durch Publizitätspflicht von Satzungen, Programm und Vorstandsbesetzungen und Offenlegung von Parteifinanzen
- Kandidatenaufstellung nach Bundes- und Landeswahlgesetzen verlangt demokratische Nominierung durch Parteitage
Zur Forschung der innerparteilichen Demokratie:
Ob Parteien innerparteilich demokratisch organisiert sein "müssen" und wenn ja, wie stark, ist umstritten. Hier die zwei Grundthesen:
a) Nach der "gouvernementale Ableitung" agieren Parteien in der BRD als eine Art Quasi-Verfassungsorgan. Demnach reiche es, dass Parteien wie das deutsche Parlament nach dem Modell der repräsentative Demokratie organisiert sind (Ist-Zustand).
b) Nach dem "partizipatorisch-emanzipatorisch" Ansatz sind Parteimitglieder als Bürger, der Herrschaft der Parteien unterworfen. Anhänger dieser These fordern deshalb eine enge Bindung der Parteiführung an ihre Basis mit möglichst viel direktdemokratischen Elementen (Beispiele: "recall", Ämterrotation, imperative Mandat.) (vgl. Alemann, S. 133).
"Die Grundfrage nach innerparteilicher Demokratie ist eine Schlüsselfrage der jungen Parteiensoziologie bereits um die Jahrhundertwende gewesen. Sie hat seither die Politikwissenschaft nicht mehr losgelassen" (Alemann, S. 133)DIE KLASSIKER
Als Klassiker führt Alemann Robert Michel's "Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens" (1911) und Moisei Ostrogorski's "Struktur- und Systemprobleme der Parteiendemokratie" (1902) an.
1.) Moisei Ostrogorski:
Diagnose
- Die Folgen der industriellen Revolution und das neue Wahlrecht übersteigen Kapazität des Bürgers.
- Daher entstanden als Bindeglied zwischen dem Wähler und der politischen Führung politische Parteien.
- Parteiorganisationen beginnen Eigenleben zu entwickeln und üben Macht und Kontrolle über eine indifferente Bürgerschaft aus.
- Regierung werden soabhängig von den Parteiorganisationen.
- Parteiorganisationen denken jedoch nur an den eigenen Nutzen: Das Gemeinwohl leidet.
Lösung:
- Abschaffung der Parteien
- stattdessen: Die Funktionen von Parteien sind auf temporäre Vereinigungen mit eindeutigem Zweck zu übertragen. sie lösen sich auf, wenn der Zweck erreicht ist. (Anmerk. d. Autors: Erinnert an das Crew-Konzept der Piratenpartei?)
- durch diese Organisation wird der korrumpierende Einfluss von Parteien neutralisiert
- eine "natürliche Elite", charakterisiert durch Engagement und Fähigkeiten würde die Macht durch die Führerschaft in politischen Sachfragen übernehmen (Hört sich auch sehr nach Piratin bzw. Grünen in der Gründungsphase an)
Reaktionen:
Die USA beschränkten u.a. als Reaktion auf die Parteienkritik die Macht der Organisationen. Sie setzten stattdessen auf offene Vorwahlen (Primaries). Die bis heute spürbare Schwäche der amerikanischen Parteien ist wohl eine Spätfolge dieser Reform (Zusammengefasst nach Alemann, vgl S. 135).
2.) Robert Michel
Kritisiert dass Parteien nicht dazu in der Lage sind, die Demokratie innerparteilich durchzusetzen, für die sie ja ursprünglich angetreten waren. Deshalb würden Parteien in komplexen Gesellschaften zwangsläufig in Führerstrukturen enden.
Michels sagt, dass aus kommunikationstechnischen Bedingungen unmöglich sei, demokratische Entscheidungen in größeren Gruppen zu finden. Die größtmögliche Gruppe für direktdemokratische Entscheidungen vermutet Michel 1.000 und 10.000 Personen. In der Folge sei Delegation von Macht notwendig. Diese Delegation führt jedoch automatisch zu einem "Bildungsvorsprung von Organisations- und Fachwissens einer Führungsschicht, die so einen Machtvorsprung erlange. Basis oligarchischer Macht sind also nicht nur die hierarchieimmanenten Zwangsmächte, sondern vor allem auch Wissensmonopole." (Vgl. Wikipedia).
Im Folgenden korrumpiert die herausgehobene Elite laut Michel's zwangsläufig. Innerorganisatorischen Demokratie und die Dynamik der Gruppe verwandelt sich in schwerfällige, konservative Bürokratie. Im Ergebnis entfremde sich die Elite von ihrer Basis.
Alemann kritisiert Michels Arbeit jedoch: Er habe nur deterministische Thesen, die nur sehr zweifelhaft, deduktiv mit Fallbespielen "belegt" werden.
Die Organisationssoziologie unterstützt Michel's Grundthese jedoch, wenn auch etwas vorsichtiger: Demnach neigen Organisationen dazu, "Entscheidungseliten einen Vorsprung an Kommunikation, Information und weiteren Herrschaftsmitteln an die Hand zu geben". (Alemann, S. 135)
Frieder Naschold [3] widerspricht Michel's Pessismismus. Er schreibt, dass effektive Organisationen gerade in komplexen Gesellschaften interne Demokratie bedürfen:
"Organisation und Demokratie, Organisationsdemokratie und Effektivität seien nicht widersprüchlich, sondern miteinander vereinbar und geradezu aufeinander angewiesen. Eigene Motivation und Partizipation der Organisationsmitglieder, Dezentralisierung, Identifikation und erhöhte Kommunikation behindern nicht, sondern stärkten große Organisationen. Gegen Michaels hält Naschold: Mehr Effektivität und Demokratie durch mehr Partizipation in Organisationen. Komplexe Gesellschaften produzieren, so könnte man zugespitzt sagen, einen Sachzwang zu mehr Demokratie. (Alemann, S. 135)Diese These hält Alemann jedoch für zu optimistisch; die empirische Organisationswirklichkeit widerspreche ihr.
Alemann schreibt abschließend, dass hierarchische Strukturen: Stabilität der Aktion, der Motivation und der Intervernetionsmöglichkeit. Insbesondere schnelllebige Bewegungen brechen schnell wieder zusammen.
REFORMVORSCHLÄGE:
In einem späteren Kapitel stellt Alemann vor, welche Reformvorschläge es gibt:
- Alle Macht den Wählern
- Alle Macht den Mitgliedern
- Alle Macht den Profis
2.) Alle Macht den Mitgliedern: Parteien sollen demnach von den flexiblen sozialen Bewegungen lernen. Zu den Vertretern gehörte etwa Wolfgang Michael mit seinem Buch "Die SPD - staatstreu und jugendfrei" (1988). Alle Übel stammen demnach von den Parteiapperaten. Die Lösung: Parteien sollen stärker nach aktuellen Themen orientieren. Problem aber auch: Bürgerinitiative kommen und gehen. [In diese Rubrik wäre auch der Vorschlag von Liquid Democracy einzusortieren.]
3.) Alle Macht den Profis: Dies war auch der Buchtitel von Politikberater Peter Grafe (1991 - SPD). Er plädierte dafür Parteien als eine Art Dienstleistungsfirma aufzugreifen, die ein "perfektes Produkt" verkaufen. Ähnlich fordert Peter Radunski (1991) langjähriger Wahlkampfmanager der CDU, eine Fraktionspartei, in der Profis und nicht Amateure bestimmen. Joachim Raschke schlug in seinem Buch "Die Grünen. Wie sie wurden, was sie sind" (1993) das Modell einer professionellen "Rahmenpartei" vor, indem ein professioneller Kern arbeitet. Statt Mitglieder gibt es nur Förderer.
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(1) Von Alemann, Ulrich: Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland, Hemsbach 2001, S. 125-137.
(2) Kaak, Heino: Geschichte und Struktur des deutschen Parteiensystems, Opladen 1971.
(3) Naschold, Frieder: Organisation und Demokratie, Stuttgart 1969.
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